Mittwoch, 17. Juni 2020

Die Pilgerung

Schon länger habe ich mit dem Gedanken gespielt, pilgern zu gehen. Das bietet sich vor allem jetzt an, wo wir uns seit knapp zwei Wochen nur 100km von Santiago de Compostela aufhalten. Der nächstgelegene Ort liegt am Camino de Invierno, dem "Winterweg" der Pilgerer.



Deswegen beschließe ich, den Weg zu gehen. Für die knapp 108km habe ich mir vorgenommen, an fünf Tage jeweils zwischen 20 und 25km zurückzulegen. Leider muss die ganze Aktion inoffiziell ablaufen, denn für die Pilgerurkunde, welche man bekommt wenn man die letzten 100km des Pilgerweges gelaufen ist, muss man Stempel vorweisen... und alle Herbergen oder Tourismus-Büros haben geschlossen. Aber das Tolle daran ist auch, dass ich überhaupt keine Herbergen ansteuern muss, da Paul mich jederzeit mit dem Bus einsammeln kann.



So laufe ich am Donnerstag den 11.06. von Diomondi, einem kleinen Ort in Galizien, los. Über Weinfelder geht es durch ein Flusstal und kleine Dörfer wieder hinauf auf die Berge. Der Weg ist wunderschön und das Wetter zunächst super... nur selten kreuze ich Straßen oder sehe Menschen. Am ersten Tag bin ich nach 15km zu Fuß schon relativ kaputt. Die Kilometerzahl ist das eine, was ich aber nicht bedacht habe, sind die Höhenunterschiede. 



Am liebsten würde ich Paul anrufen, aber mein Pensum ist noch nicht erreicht und so gut kann er mit dem Bus nicht an den kleinen Ort heranfahren, da es ein riesen Umweg wäre. Zwischen uns liegt nämlich der Berg Monte Faro, dessen Anstieg allein schon 5,1 km bergauf führt und auf der anderen Seite auch wieder herunter. Also bleibt mir nun übrig, die 10km zu laufen. Natürlich zieht sich in diesem Moment der Himmel zu und es fängt an zu regnen. Ich brauche ca. anderthalb Stunden für den Aufstieg, oben angekommen finde ich eine Bergkirche und einen Aussichtspunkt (Tina: ein Mirador!!!!) vor. Der ist allerdings aufgrund des Wetters nebel- und wolkenverhangen und daher wenig einladend. 





Auf dem Abstieg sende ich Paul meinen Standort und wir treffen uns auf immer noch ca. 800m-Höhe am Auto. Zum Glück beginnt erst jetzt der Regen richtig. Mit Pizza, Bier und einem Film ist es im Bus mega gemütlich, auch wenn die Nacht sehr stürmig ist und der Wind um den Bus pfeift.


Am nächsten Tag laufe ich schon bei Regen los. Immerhin bin ich noch recht hoch im Gebirge und es ist sehr diesig und windig. Nach gut einer dreiviertel Stunde sind meine Schuhe durchweicht und drücken ziemlich. Trotzdem gehe ich recht schnell weiter und komme durch ein kleines Dorf. Beim Näherkommen rennt ein Schäferhund aus einem Gehöft. Ich bleibe kurz stehen – ein Fehler, denn der Hund deutet das vermutlich als Eindringen in seinen Bereich – er beginnt zu knurren und legt seine Ohren an. Plötzlich bekomme ich Angst (Hunde bemerken das ja angeblich sehr schnell) und obwohl ich weitergehe, beißt er mir, wenn auch sehr zögerlich, hinten ins Bein, genauer in meine Achilles Sehne. Zum Glück hatte ich meine Wanderhosen an und es war nicht sehr doll, aber der Schreck sitzt trotzdem tief. Vor jedem weiteren Dorf habe ich nun schon ein mulmiges Gefühl. Vermutlich dürfen viele Hunde, weil keine Pilger unterwegs sind, frei herumlaufen. An dem Tag bin ich dann auch noch sechs oder sieben weiteren Hunden begegnet. Unser großer Regenschirm diente also nicht nur als Regenschutz, sondern ebenfalls als Spazierstock und Waffe. Immer hielt ich ihn wenn ich Dörfer durchkreuzte schon aufspannbereit und leicht schräg hinter mich an der Wade. Einmal allerdings wurde ich von drei Hunden umzingelt, zwei von vorn, einer von hinten...aber zum Glück haben diese nur geknurrt und dann nach gut 50m von mir abgelassen. An dem Tag regnete es später so stark, dass die Wege unter Wasser standen. Das ist der Nachteil am Winterweg: im Winter ist er zwar meist schneefrei, dafür im Sommer oft überflutet. Weil ich so durchnässt war – meine Schuhe schmatzten bei jedem Schritt- habe ich an der Stelle nach 18km abgebrochen und mich von Paul abholen lassen :)


Die nächsten Tage waren zwar auch teilweise bewölkt und nieselig, es war aber wieder etwas wärmer (18 bis 20 anstatt 13 °C) und ich kam irgendwie trotzdem langsamer voran. Vermutlich weil ich mehr schaute, staunte und mich kein Dauerregen antrieb.
Pilger gesehen habe ich allerdings auf meinem Weg gar keine, deswegen wurde ich selbst auch nicht als einer erkannt, vermutlich aber auch, weil mein Rucksack dafür zu klein war...deswegen hab ich auch nie „Buen Camino“ zu hören bekommen. Dafür frage mich ein älteres Ehepaar, welches ganz niedlich Sonntagmorgen Händchenhaltend aus der Kirche kommend meinen Weg kreuzte, wo ich hinwolle und wies mir dann den Weg.





Den Jakobsweg an sich konnte man eigentlich nicht verfehlen, rund alle 500- bis 1000m stand eine Säule mit Jakobsmuschel. Abhängig von den einzelnen Provinzen sogar mit metergenauer (!) Angabe bis zum Ziel und durch die Städte navigierten einen zusätzlich gelbe Graffitipfeile auf Wegen, Pfeilern und Straßenlaternen. Trotzdem, ich kenn mich ja, hatte ich mir noch die Camino-Invierno-App heruntergeladen, welche an zwei ästellen doch ganz hilfreich war. Einmal z.B. hörte der Weg urplötzlich auf und ich fand mich auf einer Kuhweide wieder. Eine Wiese und zwei Steinmauern weiter traf ich dann wieder auf den Hauptweg.




Herrliche Korkeichen- und Eukalyptuswälder... fast wie im Urwald
Früchte der Korkeiche

 

Montag gegen 17 Uhr kam ich dann endlich in Santiago de Compostela an. Und ich war mittlerweile auch ziemlich mitgenommen. Durch die vielen Hügel auf den letzten 15km taten meine Beine und Füße ordentlich weh. Und so wie ich mich auf meinen Schirm gestützt vor die Kathedrale schleppte, kann ich mir gut vorstellen, dass gerade ältere Leute da im wahrsten Sinne des Wortes „hinkriechen“. Die Kathedrale war übrigens leider aufgrund von Bauarbeiten geschlossen. Das war zwar schade, denn ich hätte gerne den Rauch aufsteigen sehen (und das Apostelgrab natürlich auch) aber so haben sie wenigstens die Krisenzeiten gut genutzt, bevor wieder der Pilgeransturm kommt. Santiago an sich war übrigens eine sehr schöne, kleine historische Hügelstadt. Da haben wir uns für insgesamt 21€ noch für zwei Nächte ein Airbnb-Zimmer gemietet. Wäsche waschen und Ausruhen sind nach einer Woche wandern schon zwei sehr wichtige Angelegenheiten ;)





  





































Mittwoch, 10. Juni 2020

Verqueert

"Hi, we are a German couple and stranded in Spain. We were on our way to a farm in Portugal, but unfortunately we are not allowed to cross the border without a contract. Now we are looking for an alternative to stay and work in the coming weeks. Your place looks lovely and we would be happy to work for and with you for about two weeks (or longer, we are flexible). We could also sleep in our bus, if the space is limited. We are currently near the southeastern border of Portugal and it would take us approximately 2 or 3 days to get to your place. We are happily looking forward to hearing from you.
Adda & Paul"

Na, würdet ihr uns nicht auch aufnehmen? Diese Nachricht haben wir über WWOOF.es (kurz für "World Wide Opportunities on Organic Farms) geschickt. WWOOF ist ein Netzwerk, über welches Menschen aus aller Welt gegen Kost und Logie auf hauptsächlich Biohöfen arbeiten und dabei einen Einblick in verschiedene alternative Lebensstile und nachhaltige Landwirtschaft erhalten können.

Auf diesem Weg sind wir bei Xácia von Sete Outeiros und ihren zwei Hunden Yrco und Meida gelandet. Das verrückte war, dass es sich um keine Farm im herkömmlichen Sinne handelte, sondern um einen Ort des Erfahrungsaustausches und "Safety-Place" für Personen der LGBT-Szene. Also weniger Bauernhof, dafür umso mehr alternativ ;) Das war natürlich für beide Parteien insofern spannend, dass es für Paul und mich den erste Sozialkontakt nach über drei Monaten Lockdown-Einsamkeit darstellte und auch Xácia, selbst trans, erst einmal feststellen musste: "straight couples - they exist!"

Normalerweise kommen nämlich tatsächlich vorwiegend homo- oder transsexuelle Personen aller Nationen zu ihr, aber aufgrund der ganzen Corona-Situation gestaltet sich das derzeit schwierig. Deswegen konnten wir ausnahmsweise bei ihr unterkommen - sie bekam von uns Hilfe bei allen anfallenden Arbeiten und wir hatten einen sicheren Ort in einer fantastischen Umgebung.

Unsere Tätigkeiten bestanden zum Beispiel darin, alte Pfade im galizischen Urwald zu pflegen, indem wir Dornen mit einer Sichel entfernten oder umgestürzte Bäume aus dem Weg räumten (Paul hat dabei eine neue Leidenschaft fürs Baumfällen entdeckt ;).


Außerdem ist Xácia seit einigen Jahren dabei, eine alte Kapelle auf traditionelle Weise zum Wohnhaus umzubauen - ein echtes Lebensprojekt. Deswegen halfen wir ihr, so gut es ging, ohne elektronische Geräte das Dach des Hauses zu decken.



Neben der Arbeit spielten wir wahnsinnig viele Brettspiele (Tipp: Agricola & Ticket to Ride), bekochten uns gegenseitig, schliefen in einer Jurte und badeten im Fluss.

Paul beim Korn mahlen für die Sonntags-Pfannkuchen ;)


Neben einem "Wie-fälle-ich -Bäume-richtig"-Tutorial für uns gab es auch einen Makramee-Workshop für Xácia ;)
Wandern konnte man auch super durch den Wald. Eine Tour führte uns ins verlassene Dorf "Barxa".



Das einzige was wir Suchtis wirklich vermissten, was das Internet, denn das gab es leider nicht mitten im Tal. Dafür hatten wir eine superschöne Zeit mit vielen neuen Erfahrungen und einem superlieben Host. 

Danke Xácia!